Heimwärts
Hastig packen wir jene Dinge in den Koffer, die für uns keinen großen Wert mehr besitzen. “Nur noch zehn Minuten, dann müssen wir zurück sein.” Wir starten die Motoren. Dies ist die letzte Motorradfahrt auf amerikanischem Boden.
Gerade noch haben wir im Büro des Agenten gesessen und uns dankbar die kalte Luft der Klimaanlage ins Gesicht pusten lassen. Die Hitze ist schon früh morgens wirklich erdrückend. Ganz so früh ist es aber auch nicht mehr, denn wir haben uns ein bisschen verspätet. “Wird ja eh nicht so genau genommen”, witzelte ich vorher noch beim Kaffee in unserer Unterkunft.
Doch nicht hier: Im kleinen Büro haben bereits alle auf uns gewartet. Direkt wird verkündet, dass die Formalitäten abgeschlossen sind und wir die Moppeds gleich im Hafen abgeben können. “Heute schon? Sie meinen: jetzt gleich schon?” Moe und ich schauten uns erst verwundert, dann leicht panisch an. “Wir haben die Motorräder noch gar nicht gepackt.”
Oh man, wie peinlich! Erst kommen wir zu spät und dann haben wir noch nicht mal gepackt. Da meinten wir mal wieder, wir kennen Mexiko und wüssten, wie der Verschiffungshase hier läuft. In unserer Vorstellung hätten wir die nächsten paar Tage mit Behördenläufen und Warterei verbracht.
Also schnell zurück zur Unterkunft. Dort sind unsere Sachen immerhin schon sortiert: Alles, was wir nicht unbedingt brauchen, kommt zur RoRo-Überschiffung in die Motorradkoffer. Ganz sicher ist nämlich nicht, ob die Tiger so in Bremerhaven ankommen werden, wie wir sie hier abgeben.
In der Aufregung verschwende ich keinen Gedanken daran, dass dies der letzte Ritt auf meinem geliebten Tiger für eine sehr lange Zeit sein wird. Moe denkt bei dieser Fahrt jedoch an nichts anderes und so laufen ihm wie wild die Tränen über seine Wangen, die er unter dem Helm versteckt.
Bis bald, mein Baby!
Dank der guten Vorbereitung unseres Agententeams läuft es im Hafen wie Butter. Nach nur einer Stunde sind wir mit dem gesamten Prozess fertig und geben die Schlüssel für unsere Tiger aus der Hand. Es ist ein mulmiges Gefühl, sie auf diesem riesigen Gelände zurückzulassen. Neben den polierten Neuwagen stören die Reisemobile mit ihren Kratzern, Beulen und bunten Aufklebern das homogene Gesamtbild. Ich streichle ein letztes Mal über den Tank meiner 800er: “Wir sehen uns bald wieder, versprochen!”
Nun können wir unseren Rückflug buchen und alles für die Ausfuhr des jüngsten Mitglieds unseres kleinen Motorradklubs vorbereiten. Da Teddy schon die erforderliche Tollwut-Impfung und einen Mikrochip für seine Reise nach Europa hat, bekommt er beim Tierarzt nur noch ein Gesundheitszeugnis ausgestellt. Damit gehen wir dann zu einer Zweigstelle des Landwirtschaftsministeriums, um Teddys Export beantragen.
Das läuft ein bisschen wie die Übergabe eines Geheimdokuments ab: Das Gebäude darf nicht betreten werden, wodurch man sich mit den Mitarbeitern über telefonische Absprache vor dem Gebäude trifft. Nach drei Treffen haben wir die Bescheinigung.
Am Flughafen wird der Wisch nur noch abgestempelt und dann dürfen wir auch schon einchecken. Teddy ist leicht genug, um mit uns zusammen in der Kabine zu fliegen. Die meiste Zeit schläft er in seiner Reisetasche und meistert seinen ersten Flug damit wesentlich tapferer als ich.
Ein “neues” Land auf unserer Reise
Was für eine unschöne letzte Etappe! Ich muss beim Fliegen immer daran denken, wie mir mal ein Freund erzählt hat, dass er auf einem Flug neben einem sehr alten Mann saß, der sichtlich aufgeregt war. “Dies ist mein erster Flug im Leben”, verkündete er ihm mit strahlenden Augen. Wenige Stunden später stand ihm dann die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. “Sind wir etwa schon da?”, fragte er schockiert seinen Sitznachbar. “Ich habe doch gar nichts gesehen! Wie kann etwas, das so schnell vorüber ist, so teuer sein?”
Eine Reise wird eben nicht besser durch die Anzahl der Kilometer, die man dabei zurücklegt – und schon gar nicht in möglichst kurzer Zeit. Ich finde es auch einen Irrsinn, wenn ich darüber nachdenke, wie lange wir über See und Land unterwegs waren, um nach Mexiko zu gelangen – und nun landen wir binnen weniger Stunden zurück auf dem europäischen Kontinent.
Lange hat es zwar nicht gedauert, aber wir haben lange auf den Moment gewartet, wieder hier zu sein. Und freuen uns einfach darüber. Alles ist so gepflegt und so ruhig hier. Wir können Familie und Freunde wieder in die Arme schließen und führen viele schöne Gespräche mit unterschiedlichsten Menschen. Viel hat sich nicht verändert. Die Orte, die wir jahrelang nicht gesehen haben, hingegen schon ein bisschen mehr.
Moe meint, dass sich Deutschland in gewisser Weise wie ein weiteres Land auf unserer Reise anfühlt. Obwohl es uns sehr bekannt ist, entdecken wir vieles gerade neu. Wir nehmen uns vor, unsere Heimat in der kommenden Zeit noch sehr viel besser kennzulernen. Es gibt so viele Ecken, die wir noch nicht gesehen haben.
Ob wir uns verändert haben? Ich vermute nicht so sehr. Aber das können andere vielleicht besser beurteilen.
Ungeahnte Freu(n)de
Habe ich es schon mal erwähnt? Ich LIEBE Überraschungen. Und davon gibt es so viele, dass es mein Herz wirklich springen lässt. Liebste Menschen nehmen uns obdachlose Weltenbummler auf, unterstützen uns beim Zurechtfinden im bürokratischen Dschungel und fahren uns von A nach B.
Riesiger Dank gilt unserer Familie und Freunden! Auch Menschen, die uns noch nie vorher getroffen haben, bieten uns großzügig ihre Hilfe an. Einige Beispiele: Markus hilft uns, eine Wohnung in unserer neuen Wahlheimat Bonn zu finden. Erhan fährt uns mit seinem Transporter von Hannover nach Bremerhaven und zurück, um die Tiger im Hafen abzuholen. Und Jens bietet uns an, den alten Tiger in Hannover in seiner Garage unterzustellen, bis wir ihn dort abholen können. Alles positive Beispiele dafür, wie uns das Internet verbinden kann. Einfach toll, das werden wir niemals vergessen!
Fehltritt
Nach einer kleinen Tour durch Deutschland fahren wir nach Österreich: Tom Possod und Lea Rieck haben das Newchurch-Festival zum Anlass genommen, ein paar Globetrotter einzuladen. Ein schönes kleines Event in zauberhafter Kulisse, bei dem wir lang bekannte Gesichter mal endlich mal persönlich antreffen. Es ergeben sich viele interessante Gespräche.
Ein frühzeitiges Ende findet sich jedoch auf einer Ausfahrt, als ich kurz von Thomas Leihmopped absteigen möchte. Ich bleibe an der Gepäcktasche hängen und lande unglücklich auf dem Boden. Der Fuß knickt um, ich falle um und schließlich schauen sich alle um, wer da denn jammert. Große Schmerzen bereiten mir große Sorgen – ab ins Krankenhaus. Dort lautet die Diagnose der Ärztin: “Das ist kaputt.”
Es ist schon ein verdammt schlechter Zeitpunkt, wo wir uns doch gerade komplett neu organisieren müssen. Aber wann ist schon ein guter Zeitpunkt, um sich das Sprunggelenk zu brechen?
So liege ich dann erst mal wochenlang in dem Zimmer, das ich mir 16 Jahre lang mit meiner Schwester geteilt habe. Umsorgt von meiner Mutter, die mich meiner Meinung nach ein wenig zu sehr umsorgt. Es ist schon befremdlich, mich wieder in dem Setting zu finden, aus dem ich vor zwölf Jahren ausgezogen bin.
Tiger-Trauer
Und dann ist da auch noch so ein Abschied, der mir durch den Unfall genommen worden ist: die letzte Fahrt auf meinem Tiger. Der war schließlich eine Leihgabe für unsere Reise und kehrt zurück zu Triumph Deutschland. Mich schmerzt es sehr, dass ich ihm diese letzte Ehre nicht erweisen und somit auch nicht das liebe Triumph-Team persönlich treffen darf. Wie es nun weitergehen wird, steht noch nicht fest.
Inzwischen sind wir nach Bonn gezogen und grübeln darüber, wie wir unsere andere große Liebe – den alten Tiger – wieder auf die Straße bringen. Noch wartet er gelangweilt in Jens Garage in Hannover und braucht einen TÜV.
Der kaputte Fuß und der liebesbedürftige Tiger brauchen also noch eine Weile – trotzdem lassen wir es uns nicht nehmen, zum MRT und HU-Treffen im September zu fahren. Sehen wir uns dort?
Ihr seid einfach Weltklasse.Habe den Artikel über euch in der aktuellen Motorad Ausgabe gelesen.Ihr habt Mut und Ausdauer bewiesen und vor allem die Adoption von Teddy finde ich unheimlich klasse.Auch euren Sponsoren zolle ich meinen Respekt,insbesondere Triumph.Ich wünsche euch alles Gute und dass ihr irgendwann nach Corona mal wieder auf Tour geht.
Biker Grüße
Bernd