Und dann kam das Virus: Gestrandet in Mexiko
März 2020. Angespannt schaue ich auf’s Smartphone. Das Corona-Virus hat die Welt auf den Kopf gestellt und schlechte Nachrichten prasseln im Minutentakt auf uns nieder. Die Infektionszahlen schießen in Europa durch die Decke, brutale Ausgangssperren werden verhängt und Reisende werden plötzlich bedroht. Viele Menschen sterben.
Die Lage ist ernst. Jeder soll fortan daheim bleiben. Doch was macht man eigentlich, wenn man gar kein Zuhause mehr hat? Wohin geht man dann?
Heimatlos
Seitdem die Grenzen geschlossen und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, fühle ich mich ausgesetzt. Draußen – das war unser gewähltes Zuhause. Nun müssen uns in fremden vier Wänden einschließen.
Und eine Entscheidung treffen. Eine verdammt schwere. Die deutsche Botschaft verhängt eine weltweite Reisewarnung, die Auslandskrankenversicherung kündigt uns womöglich, Flüge sind ausgebucht oder werden gecancelt. Die Welt ist im Shut-Down.
Should I stay or should I go?
Nichts wie weg hier! Das ist der erste Impuls. Ich will wissen, wie die Dinge laufen. Ich will mich fehlerfrei verständigen können. Ich brauche ein vertrautes Umfeld. Noch geht es der Familie gut – doch sollten wir nicht besser bei ihnen sein?
Wir müssen alle Optionen abwägen und das am besten sofort. Bekommen wir noch einen Platz im Flieger? Was machen wir mit den Motorrädern? Wie rasant wird sich die Lage entwickeln? Wann könnten wir beim nächsten Flughafen sein? Welche Kosten werden entstehen? Werden wir wieder nach Mexiko zurückkehren können, bevor die Importpapiere auslaufen? Was passiert, wenn nicht? Wie lange wird die Krise anhalten? Was, wenn wir uns auf der Heimreise anstecken? Wo sollen wir in Deutschland überhaupt hin? Und vor allem: Was würde das für unsere Reise – unser Leben – bedeuten?
Tausend Fragen schießen uns in schlaflosen Nächten durch den Kopf.
Was passiert in Mexiko?
Als die WHO die Corona-Krise zur Pandemie hochstuft, pflegt der mexikanische Präsident einen wenig hilfreichen öffentlichen Diskurs. Er reist munter durch’s Land, umarmt seine Anhänger und verteilt Küsschen an Kinder. Ähnlich verhält es sich auch in der Bevölkerung. Kaum jemand hält sich an Abstandsregeln oder trägt eine Maske. Es finden Versammlungen, Parties, ja sogar noch Festivals statt.
Uns fällt es schwer, diese Normalität mit den Szenarien aus Europa zu vereinbaren. Ein paar tausend Kilometer weiter kämpfen Gesundheitskräfte an allen Fronten. LKW der italienischen Armee transportieren nachts die Leichen ab. Zahllose Familien werden auseinandergerissen. Es ist unfassbar traurig.
Und doch muss es hier auch irgendwie weitergehen. Schon jetzt drohen massive Konsequenzen auf allen Ebenen. Mehr als die Hälfte der mexikanischen Bevölkerung lebt vom informellen Gewerbe und den Tageseinnahmen. Ein plötzliches Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist nicht so möglich wie in Ländern mit höheren institutionellen und finanziellen Kapazitäten. Hier gibt es keine mit Deutschland vergleichbaren wirtschaftlichen und sozialen Hilfsprogramme des Staates.
Womöglich würde eine vom Militär durchgesetzte Ausgangssperre – wie sie in vielen Ländern Südamerikas gerade praktiziert wird – Armut und Not eher vergrößern. In Folge darauf auch Kriminalität und Gewalt, gegen die Mexiko schon seit Jahrzehnten kämpft. Ich möchte derzeit nicht in der Haut von politischen Entscheidungsträgern stecken. Wie schlimm muss es wohl sein, zwischen verschiedenen Übeln abzuwägen, die Menschenleben kosten?
Privilegien-Check
Wir schaffen es nicht immer, angesichts der Lage cool zu bleiben. Ist ja schließlich auch die erste Pandemie, die wir so erleben. “Wenn wir gehen, dann müssen wir JETZT los”, sage ich schließlich zu Moe. Es ist sechs Uhr morgens und bis zum Flughafen sind es rund tausend Kilometer.
Bevor wir alles zusammenpacken, setzen wir uns noch ein letztes Mal zusammen. Schließlich wird klar, was für uns das Beste ist: hierzubleiben. Und den Sturm auszuhalten.
Uns sind zwei Dinge besonders wichtig: andere Menschen nicht in Gefahr zu bringen und die Reise fortzusetzen. Beides ist uns am besten möglich, wenn wir dort bleiben, wo wir gerade sind. Sprich: in Mexiko. Auch, wenn noch nicht absehbar ist, wie sich die Dinge hier entwickeln werden. Wir haben Vertrauen darauf, dass auch die meisten Mexikaner einfach nur so gut wie möglich durch diese Zeit kommen möchten. Deswegen mieten wir uns auf unbestimmte Zeit ein kleines Apartment in einem Dorf außerhalb von Oaxaca-City.
Als wir diese Entscheidung getroffen haben, geht es uns schlagartig besser. Eine längere Zeit an einem Ort zu bleiben, ist eine willkommene Reisepause. Endlich können wir Projekte aufarbeiten, für die sonst keine Zeit übrigblieb. Es gibt ohnehin kein Enddatum, zu dem wir wieder zurückkehren müssten. Beruflich sind wir ortsunabhängig und müssen nicht um unsere Existenz fürchten. Es ist kein Problem, eine Unterkunft zu nehmen, in der wir uns isolieren können. Wir haben Familie und Freunde in verschiedenen Teilen der Welt, auf die wir uns verlassen können. Und wir haben uns.
Vor allem aber, hatten wir für sehr lange Zeit das riesige Privileg, reisen zu können. So, wie wir es wollten. Wenn man also mal nicht nur hinter der eigenen Haustür kehrt, dann wird schnell klar, dass wir mitnichten die Verlierer sind.
Abschiedsschmerz
Doch nach einiger Zeit kommt trotzdem die Ernüchterung. Es zeichnet sich allmählich ab, dass wir wohl diesen Sommer nicht mehr wie geplant in den USA und Kanada reisen können. Dass wir – wenn wir Glück haben – vielleicht ein ganzes Jahr darauf warten müssen. Dass wir noch sehr lange isoliert sein werden.
Als schließlich in unserem Dorf eine Ausgangssperre verhängt wird, nagt es doch sehr an mir. Nicht mal mehr in den Feldern spazieren gehen – ich fühle mich eingesperrt und verliere allmählich meine Motivation und die Perspektive. Die Tage verdunkeln sich.
Zurück zum Hier und Jetzt
Nach zwei Monaten haben wir schließlich genug. Genug des Wartens. Genug von dieser Unsicherheit. Genug von dem Gefühl, zwischen zwei Welten gefangen zu sein. Unsere Gedanken waren in den letzten Wochen mehr denn je in Deutschland. Wir sind sehr dankbar, dass es unserer Familie und unseren Freunden gut geht. Aber wir haben gemerkt, dass dieser Zustand nicht gut für uns ist. Wir können uns nicht mehr bewegen, nicht mehr mit den Menschen sprechen, nichts mehr entdecken. Durch die Isolation haben wir die Verbindung zu Mexiko völlig verloren. Wie können wir den ganzen Tag vor unseren Computern sitzen, während um uns herum viele traurige Entwicklungen stattfinden? Es hat sich nicht richtig angefühlt.
Wir können nicht ändern, dass wir hier für eine ganze Weile feststecken. Doch wir können entscheiden, wofür wir unsere Zeit verwenden. Sicherlich können wir die Welt nicht retten – aber vielleicht ein paar traurige vierbeinige Freunde.
So entscheiden wir uns, nach Puerto Vallarta fahren und für die nächsten Monate eine Hunde-Rettungsorganisation zu unterstützen. Einsame Hunde, die kein Zuhause haben, begleiten uns seit Beginn unserer Reise und haben uns schon oft berührt. Auch sie sind von der Krise betroffen, da immer mehr Familien ihre Hunde aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage aussetzen. Wir sind sehr gespannt, was dieses neue Kapitel für uns bereithält!
Traurige Sotuation aber gut beschrieben. Und Ihr habt das beste draus gemacht.
Wünsche Euch alles gute und dass es dann bald weiter geht.
Dankeschön! Das hoffen wir auch…
Hallo und schöne Grüße aus dem Tigerhome!
ich habe mich schon länger gefragt wie es euch wohl mit dem Corona-Arschloch in der Ferne ergangen ist und welche Auswirkungen es auf eure Reise wohl hatte.
Nach dem Lesen des letzten Beitrags ist die traurige Befürchtung dann auch Wahrheit geworden. Echt sch***** .
Wünsche Euch das Beste und finde die Entscheidung richtig, auch hier in der “Heimat” ist es teils nicht lustig, auch wenn D die Pandemie bisher sehr gut meistern konnte.
VG Oliver
Vielen Dank, Oliver! Über “Besuch” aus dem Tigerhome freuen wir uns immer besonders! Wollen wir mal hoffen, dass es spätestens nächstes Jahr für uns alle wieder weitergehen kann. Liebe Grüße in die Heimat
Schaut in Vallarta mal bei Mike in der Hacienda Mexicana vorbei. Der ist selber passionierter Mopedfahrer, kennt schöne Routen da unten und bietet darüber hinaus gutes deutsches Essen an – nur falls es nach Monaten von Tacos, etc. mal wieder ein Schnitzel sein soll… und bestellt ihm einen schönen Gruß von Udo. Und falls ihr mal Richtung Querétaro kommt meldet euch gerne.
Oh ja – ein richtiges Schnitzel klingt sehr verlockend… auch, wenn wir Quesadillas lieben. Da werden wir auf jeden Fall mal vorbeischauen und Grüße ausrichten! So wie es momentan ausschaut, bleiben wir noch ne Weile hier. Vielleicht wird das mit Querétaro ja auch noch was 🙂
Hab das Lesen des Artikels jetzt lange hinaus gezögert. Schon der Titel hat keine wirkliche Lust verbreitet weiter zu lesen.
Schön dass ihr aber eine Lösung für euch gefunden habt. Weiterhin alles Gute.
Dankeschön! Ja, das böse C-Wort hat alle Pläne auf Eis gelegt… Wir warten noch immer auf die Öffnung der nördlichen Grenzen. Viele Grüße in die Schweiz!