Bilderlust und Orgafrust – Unser Fotoworkshop in Salta
Wir sind in Salta, der größten Stadt im Norden Argentiniens. Und hier haben wir auch was vor: Wie in unserem letzten Artikel angekündigt, wollen wir einen Fotoworkshop für Jugendliche anbieten.
Wieso wir das freiwillig machen, haben wir ausführlicher bereits in diesem Beitrag vor der Reise festgehalten. Es ist einfach so, dass wir auf unserer Reise nicht an allem vorbeirauschen, sondern gerne in Austausch kommen wollen. Und Bilder sind eine hervorragende Art, miteinander zu kommunizieren und einen anderen Einblick in das Leben vor Ort zu bekommen.
Die Anlaufphase des Projekts hat bereits einige Zeit in Anspruch genommen. Es sind viele Menschen daran beteiligt. Im Nachhinein betrachtet wohl zu viele.
Zuerst sprechen wir mit Katie von unserer “Mutterorganisation”, der Muskoka Foundation. Sie schlägt uns Projekte in Süd- und Mittelamerika vor, bei denen wir unsere Ausbildung und Stärken einbringen könnten. Ein Fotoworkshop hier, IT-Support dort, oder auch Beratung bei Social Media Marketing. Alles in Projekten, die dem Gemeinwohl dienen.
Schließlich bekommen wir von Katie – unserer Vermittlerin – den Kontakt zu Cloudhead Art in Salta. Dort könnten wir einen Fotoworkshop des “Portals”-Projekt durchführen.
“Portals” ist ein internationales Projekt, welches das Ziel verfolgt, Portale in verschiedene Orte mit dem Medium der Fotografie zu erschaffen. Wird ein solches Projekt an einer Schule durchgeführt, so werden die Schüler/Innen zuerst in die Grundregeln der Fotografie eingeführt, um anschließend eigenständig Bilder und Perspektiven ihrer Heimat aufzunehmen. Ins Leben gerufen von dem Reisenden Stefano Mangini wurde das Projekt schon an vielen verschiedenen Orten auf der ganzen Welt durchgeführt.
Barrio Solidaridad
Als wir uns in Salta mit Noah und Leigh von Cloudhead Art treffen, erfahren wir, dass die Organisation mitsamt ihrer Projekte gar nicht so institutionalisiert ist, wie wir uns das vorgestellt hatten. Die beiden hatten ein paar (Foto-)Projekte selbst mal durchgeführt, aber gerade ist wohl nichts in Planung. Sie haben jedoch Kontakt zu einer Nonne, die im ökonomisch schwächsten Viertel “Barrio Solidaridad” seit Jahrzenten arbeitet. Vielleicht fällt ihr ja etwas ein.
Und so lernen wir die Nonne Sister Margarita kennen. Die kleine, alte Frau ist von dem (sicher nicht einfachen) Leben im Viertel geprägt und hat viele Geschichten der Menschen hier zu erzählen. Die meisten von ihnen sind traurig: Drogen, Arbeitslosigkeit, Diebstahl, Menschenhandel.
Viele Menschen im Barrio leben in unhaltbaren, ärmlichsten Zuständen in der Nähe zur Mülldeponie. Perspektivlosigkeit zieht viele Junge Männer in Gangs. Durch die Gemeinschaft fühlen sie sich scheinbar sicherer. Doch die gibt es nur, wenn auch regelmäßig die “Loyalität” unter Beweis gestellt wird. Und die Frauen? Die enden nicht selten als alleinerziehende Mütter.
Margarita hat Kontakte zu einer Schule im Viertel, wo wir unseren Workshop durchführen könnten. Sie sagt immer wieder, wie wichtig es sei, den Menschen hier Perspektiven zu geben. Sie in Kontakt mit anderen Lebensentwürfen zu bringen. Damit sie die Hoffnung nicht verlieren.
Doch zunächst möchte sie, dass wir uns mit einer jugendlichen “Bibelgruppe” für eine Gesprächsrunde treffen. Viel mehr sagt sie uns dazu nicht. Wir sind skeptisch, denn mit der Kirche möchten wir eigentlich nichts zu tun haben. Doch der engagierten, so herzlichen Nonne können wir diesen Gefallen nicht abschlagen.
Mit gemischten Gefühlen bereiten wir also einen kurzen Vortrag über unsere Reise vor. Doch es ist schwierig. Schließlich wollen wir nicht in einer Bildershow über die “ach-so-tollen” Orte verfallen. “Schaut her, die haben wir alle schon besucht. Ihr werdet die vielleicht nie zu Gesicht bekommen.” Doch auch die Tatsache, dass wir das unverschämte Glück hatten, im richtigen Land geboren zu sein, können und wollen wir nicht verstecken. Das sieht man uns sowieso direkt an.
Wir erzählen Frank (bei dem wir gerade wohnen) von unseren Sorgen. Er lebt schon seit zwanzig Jahren in Argentinien und kennt das Problem. Als Deutsche/r ist man hier eben “der/die Reiche”. Scheißegal, ob wir im Zelt schlafen und unser Essen selbst auf Feuer kochen. “Vergiss, dass dich die Menschen auf den ersten Blick nicht so sehen. Das werden sie sowieso tun.” Nein, wichtiger ist, von Erfahrungen und Gefühlen zu erzählen, die jeder von uns von irgendwoher kennt und so eine Verbindung zu schaffen. “Eine Reise kann auch schon im nächsten Viertel beginnen”, sagt Frank. Da hat er Recht. Es muss ja auch nicht jeder gleich um die halbe Welt reisen. Reisen bedeutet vielmehr, mit offenen Augen und Ohren durch’s Leben zu gehen.
Entgegen aller Befürchtungen hat das Treffen dann auch keinen großen Bibelbezug. Wir erzählen vor den elf Jugendlichen unsere Geschichte und hören anschließend von jedem etwas über seine persönlichen Träume und Vorstellungen für die Zukunft. Viele der Antworten gehen in die gleiche Richtung. Manche erzählen, dass sie von einer großen beruflichen Karriere träumen. Viele möchten auch gerne andere Orte bereisen. Alle wollen einen guten Partner finden, vielleicht einmal eine Familie gründen.
Auch wir werden darüber ausgefragt, wie das funktioniert, wenn man so viel Zeit zu zweit verbringt…
Die – so einfache wie wichtige – Erkenntnis bleibt, dass wir im Grunde alle auf der Suche nach der einen, der großen, sind: Liebe. Es kann nicht schaden, sich das öfters in Gedächtnis zu rufen. Denn dieses Bedürfnis ist sicherlich etwas, was wir alle mit vielen, vielen Menschen auf der Welt teilen.
Portale in die Welt erschaffen
Zurück zu unserem Fotoprojekt: In der Schule treffen wir uns mit der Schulleiterin und einer Sozialpädagogin, um unser Projekt vorzustellen. Wir hatten von Anfang an bei allen Beteiligten angesprochen, dass wir noch Spanisch lernen und nicht fließend sprechen können. Meine Kenntnisse sind noch nicht gut genug, um den kompletten Workshop allein zu halten. Wir haben uns daher gewünscht, eine Ansprechperson vor Ort zu haben, die uns bei möglichen Übersetzungsfragen helfen kann. Doch das können wir uns abschminken. Ab in’s kalte Wasser.
Bei einem zweiten Termin lernen wir die elf Schülerinnen und Schüler kurz kennen und vereinbaren vier Doppelstunden für den Fotoworkshop. Die Sozialpädagogin spricht zwar kein Wort Englisch, sichert uns aber zu, bei den Terminen dabei zu sein. Das ist eine gute Unterstützung.
Trotzdem betreten wir den Klassenraum zum Anfang des Workshops mit Unsicherheit und Herzklopfen. Letzte Nacht habe ich kaum ein Auge zubekommen. Moe hat vorher die Didaktik und den theoretischen Input für die 1,5 Stunden konzipiert. Nun liegt es an mir, das Ganze auf Spanisch möglichst flüssig rüberzubringen. Es muss gut werden.
Und es wird gut. Als Einführung zeigen wir den Schülerinnen und Schülern drei Bilderserien – sogenannte Portale – von Venedig, Jerusalem und der Antarktis. Anschließend diskutieren wir darüber, welche Fotos am eindruckvollsten sind.
Als wir danach unsere eigenen Reisefotos zur Veranschaulichung von Fotografie-Regeln präsentieren, haben wir entgültig gewonnen. Ein Motorrad in Kombination mit der Schönheit Argentiniens – das kommt richtig gut an. Alle hören aufmerksam zu und stellen Fragen.
Und so überrascht es auch nicht, dass die Kids mit 1a Fotos auf den Kameras zurückkehren, als wir sie anschließend losschicken, ein paar der vorgestellten Gestaltungsprinzipien auf dem Schulhof auszuprobieren. Wir freuen uns schon auf die nächste Einheit, die ein paar Tage später stattfindet.
Zur zweiten Stunde sollten sich die Schülerinnen und Schüler schon mal überlegen, welche Orte das Leben in ihrem Viertel wiederspiegeln. Diese sollen sie heute in Bildern festhalten.
Als wir ankommen, ist die Sozialpädagogin, die uns beim Gang durch’s Viertel begleiten sollte, krank. Zum Glück springt spontan noch eine andere Lehrerin ein.
Voller Enthusiasmus zeigen uns die Jugendlichen einige bedeutsame Orte ihrer Heimat. Eine interessante Auswahl, die ihre persönliche Vergangenheit, aber auch Fortschritt und Zukunft des Viertels symbolisiert. Als wir zusammen durch die Straßen streifen, wählen sie völlig andere Fotomotive und Perspektiven als wir aus. Während sie uns zum Beispiel stolz den neu gebauten Krankenhauskomplex des Viertels präsentieren, den wir eher langweilig finden, wollen sie schnell weiterziehen, als Moe sich für ein ausgebranntes Autowrack am Straßenrand interessiert. Dass wir eine halbe Stunde überziehen, stört niemanden. Wir haben großen Spaß und es entstehen spannende Fotos.
Hier die besten Fotos der Jugendlichen:
Und nun noch ein paar Bilder aus unserer Perspektive:
Ein durchwachsenes Fazit
Es wäre ja schön, wenn wir sagen könnten “alles war voll toll”, aber so so genial die ersten beiden Stunden auch sind, so sehr wächst unser Frust im weiteren Verlauf des Projektes an. Dies ist vollkommen der Organisationsunfähigkeit der Schule zuzuschreiben.
Darüber, dass die Schüler immer unvollständig sind, wir lange auf ihr Erscheinen warten müssen, oder uns der vorher zugesicherte Projektor dann doch nicht zur Verfügung steht, können wir mit etwas Gelassenheit und Improvisation hinwegsehen.
Doch als schließlich die vereinbarten Folgetermine einfach ausfallen, ändert sich die Stimmung. Jedes Mal sind die Gründe hierfür unterschiedlich. Entweder sind die Kinder gerade in einer anderen Veranstaltung (hätte man das nicht vorher wissen können?), oder man hat angeblich zu einer anderen Uhrzeit mit uns gerechnet (hätte man sich die vereinbarte Zeit nicht aufschreiben können?), oder die Kontaktperson, die die Schüler abholen muss, ist einfach nicht da (hätte man da uns nicht vorher Bescheid geben können?). So werden wir immer wieder darauf vertröstet, dass der Workshop das nächste Mal fortgeführt wird.
Einen Termin gibt es dann doch noch. Dass zu diesem dann nach einer Stunde Wartezeit nur vier Schülerinnen und Schüler auftauchen (wen wundert es bei dieser Organisation), macht unserem geplanten Unterrichtskonzept einen fetten Strich durch die Rechnung.
Wir wollten, dass jedes Kind seine Lieblingsbilder auswählt und vorstellt, damit wir anschließend alle Fotos durchsprechen und die besten gemeinsam aussuchen können. Doch wie soll das gehen, wenn die Fotograf/innen gar nicht da sind? Stattdessen lungern völlig andere Kinder im Raum rum. “Nehmt die doch einfach für eure Unterrichtsstunde”, empfiehlt uns eine Lehrerin. Dass dies didaktisch keinen Sinn ergibt, interessiert nicht. Und so haben wir keine Chance mehr, unser Vorhaben fortzuführen. Wir versuchen spontan, das Beste aus dem Chaos zu machen. Doch zufrieden sind wir mit dem Ausgang dieser Stunde sicher nicht.
Bei den folgenden Terminen reisen wir – wie oben beschrieben – vergeblich an. Enttäuscht wählen wir schließlich selbst die Fotos der Kids aus, damit wir sie wenigstens ausdrucken und persönlich den Jugendlichen übergeben können. Doch auch das soll nicht sein. Als wir zum fünften Mal zur Schule fahren und niemand da ist, beschwere ich mich bei einem Lehrer, der mit der Sache eigentlich gar nichts zu tun hat. Es tut mir Leid, dass er derjenige ist, der meinen Frust abbekommt, doch es ist ja sonst niemand da. Immerhin trägt er unsere Unzufriedenheit mit dem Ausgang dieses Projekts an die Schulleitung heran. Die entschuldigt sich wenigstens später – wenn auch nicht persönlich – bei uns.
Wir fragen uns ernsthaft, wie bei so einer Organisation überhaupt ein normaler Schulalltag zustande kommen kann. Am Schluss bleibt statt einer Antwort nur der bittere Nachgeschmack von fehlender Wertschätzung unserer Zeit. Und natürlich auch das Mitgefühl für die großartigen Schülerinnen und Schüler, die wirklich nichts dafür können und sich vielleicht auch fragen, wie das passieren konnte.
Alles für die Katz’?
Das Kapitel ‘Fotoworkshop’ ist vorerst abgeschlossen. Doch das “Portals”-Projekt ist unserer Meinung nach eine tolle Sache. Wir möchten ein ähnliches Projekt wirklich gerne noch einmal woanders starten, dann aber sicherlich unter anderen organisatorischen Bedingungen. Denn die Bilder, die entstanden sind, wollen wir nicht nur euch, sondern auch in zukünftigen Workshops vorstellen.
Anschließend verbringen wir in Salta noch einige Zeit bei den Neumanns. Im Tausch gegen Kost und Logis helfen wir in ihrem Kulturzentrum mit. Nebenher warten wir auf ein Päckchen mit Ersatzteilen aus Deutschland und arbeiten an einem großem Projekt für die Finanzierung unserer Reise, welches wir euch in Zukunft noch vorstellen werden. Es bleibt also spannend!
Hallo Moritz und Niki!
Es ist immer wieder spannend eure Berichte zu lesen, super toll ?
Schade und frustrierend, dass euer Foto Workshop so geendet hat.
Weiterhin gute Fahrt und bleibt gesund ??
Liebe Grüße aus der Heimat
Gerd & Inge ❤️
Hallo ihr beiden, wir freuen uns immer wieder von euch zu hören bzw. lesen und hoffen, dass es auch gut geht. Schön, dass ihr unsere Reise mitverfolgt.
Viele Grüße nach Deutschland!
Mit spannung habe ich den Bericht gelesen. Schade dass es nicht ganz euren Erwartungen entsprochen hat. Doch auch damit muss man lernen umzugehen. Das kann euch in Argentinien wie auch irgendwo in Europa treffen.
Ich denke aber, die Kids konnten etwas von euch lernen und hatten eine gute Zeit.
Das stimmt, vielen Dank für deinen Zuspruch 🙂
Immerhin haben wir auch einiges mitgenommen, wir hoffen, die Kids konnten das (trotzdem) auch.
Was ich glaube: Unser »deutsch sein« ist bei anderen Kulturen völliges Neuland. Ob das wirklich so ist kann ich nur schwer beurteilen (habe Europa noch nie verlassen). Dafür kamen andere Kulturen zu mir und haben mich immer wieder gebeten mal »nicht so deutsch« zu sein – sobald man eine gewisse Vertrauens- und Beziehungsebene erreicht hatte. Davor hat sich das keiner zu sagen getraut. 🙂
Vielleicht ist es wie mit dem Neubau und dem Autowrack. Verschiedene Blickwinkel auf das was interessant, wichtig oder schlichtweg beeindruckend ist. Oder eben uninteressant, unwichtig und völlig alltäglich.
So könnte das auch bei dem Angebot mit der Fotografie gewesen sein. Was wir uns so vorstellen wie es astrein methodisch-didaktisch mit definierten und überprüfbaren Zielen ablaufen sollte ist fremd.
Was für mich am Ende zählen würde: Wenn viele (nicht alle) etwas mitnehmen von dem was angeboten wurde. Dann ist doch schon ein Erfolg zu verzeichnen – auch wenn anderswo der Frust gefördert wurde…
Sicher, das spüren wir auch immer wieder. Habe ich mich in Deutschland nie so “deutsch” gefühlt (auch deshalb habe ich immer davon geträumt, die Welt zu bereisen), so merke ich außerhalb der gewohnten europäischen Umgebung sehr oft, dass ich wohl doch “deutscher” bin, als ich es mir selbst zugeschrieben hätte. Aber solche Einsichten sind ja auch das Schöne am Reisen 🙂 !