Ein verdammt abenteuerlicher Tag [3. Hikingtour: Národný Park Nízke Tatry (SL)]
Durch Gestrüpp und Flüsse
27.08.2016
Heute wollen wir hoch hinaus, das Ziel ist der Gipfel Dumbier. Mit 2043 hm ist er der höchste Gipfel in der Niederen Tatra. Da wir gestern schon mit den unzuverlässigen abenteuerlichen Wanderwegen unsere Erfahrungen gemacht haben, planen wir viel Zeit ein und stehen schon früh um sieben Uhr auf. Wir starten auf einer Höhe von ungefähr 700 m. Laut den grünen Wandermarkierungen und Wegweisern verläuft der offizielle Wanderweg über eine große Straße. Ziemlich langweilig! Außerdem widerspricht unsere Wanderkarte jenen Markierungen und Wegweisern, laut ihr sollten wir rechts von der Straße, über den neben ihr verlaufenden Fluss, in den Wald gehen. Also biegen wir bei einer geeigneten Stelle rechts ein und wandern in den Wald. Tatsächlich finden wir hier die gleiche grüne Wegmarkierung wie an der Straße. Nach den gestrigen Erfahrungen mit der Wegführung überrascht uns das kaum. Scheinbar gibt es zwei alternative Wege.
Der Weg fängt harmlos an, tatsächlich scheint es leichter als gestern den Markierungen zu folgen. In regelmäßigen Abständen entdecken wir das kleine grüne Symbol. Immer wieder kommen etwas wildere Passagen, wir stiefeln durch Gestrüpp und kämpfen uns durch Brennnesseln. Ab und an muss man über umgefallene Bäume klettern oder kleine Nebenläufe des Flusses über provisorische Brücken überqueren.
Das macht viel mehr Spaß, als an breiten, touristenüberfüllten Wegen zu wandern oder über eine einfache Straße zu latschen! Wir begegnen keinem einzigen Menschen und der Eindruck kommt auf, dass diese Strecke nur sehr selten frequentiert wird.
Langsam wird der Weg immer wilder. Es grenzt an Komik, wenn man irgendwo mitten im Gebüsch zwischen hohen Gräsern und Brennnesseln die Wegmarkierung entdeckt. Wir zweifeln, ob die Verantwortlichen bei der Erstellung des Weges eine seltsame Art von Humor besaßen, zynisch und gemein waren oder einfach nur unter dem Einfluss nachlässigem Konsums der Waldpilze am Wegesrand standen.
Mittlerweile sind wir seit zwei Stunden im Wald und haben kaum Strecke hinter uns gebracht. Da wir uns jedes Stück vorankämpfen müssen, kommen wir zu langsam nach vorne. Der Weg wird zunehmend unbegehbarer. Wenn wir noch auf den Gipfel wollen, müssen wir schneller werden. Um zurück an die Straße zu kommen, kehren wir nach links, ziehen Schuhe und Socken aus, um dann durch den eiskalten Bachlauf wieder an die Straße zu kommen. Anders kämen wir an Zeitprobleme.
Die nächste Stunde laufen wir nur noch an der Straße entlang. Sie ist nicht besonders stark befahren. So können wir schneller einige Höhen- und Streckenmeter hinter uns bringen.
Der Aufstieg
Auf einer Höhe von ungefähr 1100 m endet die Straße und hinter einem Parkplatz beginnt ein breiter Wanderweg steil nach oben. Er führt direkt zur Chata generála Milana Rastislava Štefánika, einer Schutzhütte auf 1740 m. Wir machen uns auf den steilen Weg nach oben. Plötzlich kommen uns hunderte Menschen entgegen, die bergabwärts laufen, aber wir sehen niemanden, der die gleiche Richtung wie wir einschlägt. Vermutlich sind einige mit einer Seilbahn hochgefahren, um den Abstieg selbst zu gehen. Der Weg selbst ist breit und nicht besonders spannend. Die Aussicht ist aber genial.
Durch den wolkenlosen Himmel kann man über die halbe Slowakei sehen. Erschöpft kommen wir etwa um halb 4 an der Hütte an und müssen erst einmal eine Pause machen.
Die Sonne knallt bei 27°C und zum Glück gibt es eine Gelegenheit unsere Trinkflaschen aufzufüllen.
Eine Viertelstunde später (unsere längste Pause heute) brechen wir zum Gipfel auf. Die schmalen steinigen Pfade etwas unterhalb des Bergkammes sind toll zum Laufen und die letzten 300 Höhenmeter fühlen sich nicht mehr so anstrengend an.
Glücklich am Gipfel angekommen, genießen wir die großartige Aussicht, machen ein paar Fotos. Anschließend marschieren wir wieder zurück Richtung Štefánika.
Den gleichen Weg wieder runterzugehen wäre ja langweilig. Es ist halb sechs und noch genug Zeit bis zur Dunkelheit, also beschließen wir alternativ den gelben Wanderweg herunterzunehmen (der, den wir gestern nach oben nehmen wollten). Eine Entscheidung, die sich später noch als fataler Fehler herausstellen soll.
Der Abstieg
Der Weg beginnt schmal und verläuft schlangenförmig den steilen Hang hinab. Schöner als der breite und überlaufene Weg, den wir hinauf gewandert sind.
An mancher Stelle ist der Weg recht rutschig und man muss immer wieder aufpassen, dass Gleichgewicht zu behalten. Je weiter wir runtergehen, desto feuchter wird es. Nach und nach schwindet ein erkennbarer Weg und man bahnt sich den Weg durch Büsche und Gestrüpp.
Doch wir sind auf dem rechten Weg. Knapp alle 200 m lächelt einem die gelbe Wegmarkierung entgegen. Langsam werden die Schatten länger und es bleibt nicht mehr viel Zeit im Hellen.
Wir versuchen schneller voran zu kommen, machen keinerlei Pausen mehr. Versunken im schlammigen Boden füllt sich eine Pfütze in Nickis rechtem Schuh. Doch kein Grund stehenzubleiben, wir müssen weiter. Es ist noch eine gute Strecke vor uns und die Sonne versteckt sich hinter den Bergen. Ungefähr halb sieben ist es schon. Bald wird der Weg weniger steil, breiter und wir kommen in den Wald. Obwohl wir schon sehr erschöpft sind, können wir noch einen Zahn zulegen. Irgendwann endet der Weg in einem Bach und wir müssen über glitschige Steine balancieren um ihn zu überqueren. Ein am Wegesrand gefundener Stock gibt dabei etwas Sicherheit.
Verzweiflung im dunklen Wald
Nach einiger Zeit erreichen wir eine Lichtung mit einem Wegweiser: Noch zwölf Kilometer bis nach Tále. Das ist zwar noch etwas Strecke, aber immerhin verläuft diese über einen Fahrradweg und es sind keine groben Hindernisse mehr zu erwarten. Wir sind erleichtert, denn selbst wenn es dunkler wird, kann man diesen Weg noch gut nutzen. Also folgen wir flotten Schrittes dem Wegweiser und hoffen still darauf, keinen Überraschungen mehr zu begegnen. Ab und an teilt sich der Weg, aber prinzipiell ist noch klar erkennbar wo es langgeht. Um nach Wegmarkierungen zu suchen, ist es leider schon zu dunkel. Seltsamerweise werden wir langsam aber stetig wieder bergauf geführt. Verwundert uns ein bisschen, aber es muss ja der richtige Weg sein. Die grobe Richtung stimmt. Es wird noch dunkler, Nicki holt ihre Stirnlampe heraus und leichte Nervosität steigt auf. Werden die Akkus für das Licht reichen? Was, wenn nicht? Ohne Licht wäre es verdammt finster im tiefen Wald. Wir machen Witze über Braunbären, die hier im Nationalpark zuhause sind. Immerhin haben wir einen sternklaren Himmel und die Milchstraße zeichnet sich sehr schön ab. Doch es ist keine Zeit, unser Firmament zu bewundern. Wir müssen weiter kommen und so schreiten wir weiter den Weg entlang, immer höher. Wir werden unsicher. Eigentlich müssen wir auf 700 Höhenmeter zurück, wir steigen jedoch permanent auf.
Plötzlich endet der Weg und wir sind auf einer Art schlammigen Lichtung auf der viele Spuren von Waldfahrzeugen hinterlassen sind. Nach einem Fahrradweg sieht hier nichts mehr aus. Doch wir haben keine Wahl und folgen einer Art Traktorspur in den Wald hinein. Nein, dass kann kein Fahrradweg mehr sein. Wir kehren um. Zurück auf der Lichtung leuchten wir mit dem schmalen Licht der Stirnlampe andere Abzweigungen ab. Hier stimmt nichts mehr. Hier ist kein Fahrradweg! Müssen wir jetzt wirklich wieder zurück? Mittlerweile ist es Stockfinster und wir sind noch mitten im Wald. Die Aufregung hilft über den Schmerz der Füße hinweg. Uns bleibt keine Wahl. Wir drehen um und laufen wieder zurück.
Bis zu dem Punkt, an dem die erste Abzweigung verlief ist es noch sehr weit, aber was bleibt uns übrig? Wir laufen und laufen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den Punkt. Ist diese Abzweigung der richtige Weg? Nicki versucht mit der Stirnlampe ein Zeichen zu finden. Doch es ist nichts zu sehen. Zu dunkel ist es mittlerweile. Mangels Alternativen nehmen wir die Abzweigung und laufen weiter. Doch dann, endlich trifft der Lichtkegel der Stirnlampe auf eine gelbe Wegmarkierung. Wir sind richtig! Jetzt müssen wir nur noch weiter dem Pfad folgen. Mit der Angst im Nacken, dass das Licht ausgehen könnte, versuchen wir die Lampe so sparsam wie möglich einzusetzen. An Stellen, an denen der Wald nicht so dicht bewachsen ist und etwas Mondlicht durchdringt, schalten wir sie aus. Die Füße sind sicher voller Blasen. Es fühlt sich an, als würde man auf nacktem Fleisch laufen. Doch wir müssen weiter. Wie viel haben wir noch vor uns? Vielleicht acht Kilometer?
Um uns bei Laune zu halten trällern wir Lieder vor uns her und erzählen uns Geschichten. Doch dann, irgendwann, erreichen wir einen bekannten Punkt. Die Lichtung, an der gestern der rote Wanderweg endete. Freude steigt auf, wir sind erleichtert. Vielleicht sind es jetzt noch knapp fünf Kilometer bis zur Straße und dann haben wir wieder etwas Licht. Der letzte Abschnitt fühlt sich wie eine Ewigkeit an, die Füße brennen in den Wanderschuhen. Seitdem wir auf dem Gipfel waren, gab es keine richtige Pause. Dafür ist es jetzt auch viel zu spät, wir gehen weiter und tatsächlich erreichen wir irgendwann die Straße. Hier ist zwar auch kein Licht, aber es ist nicht mehr weit. Vielleicht noch einen Kilometer bis zum Campingplatz. Wir setzen Fuß vor Fuß, es geht wieder bergauf. Mit letzter Kraft kämpfen wir uns die Straße hinauf. Endlich erreichen wir das lang ersehnte Ziel. Einer der wohl aufregendsten Tage unseres Lebens neigt sich dem Ende zu. Ein Blick auf das Handy verrät uns: es ist kurz vor Mitternacht.
Wir sind heute ungefähr 30 km gelaufen und haben dabei knapp 1600 Höhenmeter hinter uns gebracht. Genauere Angaben können wir erst zuhause liefern, wenn wir den GPS-Tracker auswerten. Eine Aktualisierung erfolgt dann hier im Artikel.
Morgen wird nicht viel mit uns anzufangen sein…
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